Im Herbst 2019 war Dr. Michael Murray, einer der führenden Experten bei der Entwicklung von Enzym-Präparaten und Mitbegründer des Marktführers Enzymedica, zu Gast bei Supplementa. Unser Enzym-Spezialist Sebastian Krück hat diese Gelegenheit nicht nur genutzt, um sich mit Dr. Murray über die bisherigen Erfahrungen beim Einsatz von Enzympräparaten in der Praxis auszutauschen, sondern auch um die wesentlichen Erkenntnisse der vielen intensiven Gespräche am Ende des Tages in Form mehrerer Interviews auf Video festzuhalten.
In dem Interview, das Sie auf dieser Seite finden, legt Dr. Murray dar, wann (und: warum) eine Nahrungsergänzung mit Verdauungsenzymen in den meisten Fällen sinnvoller ist als der vorschnelle Einsatz von probiotischen Kulturen.
Die Kerngedanken seiner Argumentation lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen: Enzyme schaffen die Voraussetzungen für eine gesunde Darmflora. Wenn es an Enzymen fehlt, verbleiben unverdaute Nahrungsbestandteile im Darm, was wiederum eine Fehlbesiedlung mit schädlichen Keimen und Darmpilzen (z.B. Candida-Hefepilze) begünstigt. Wenn jedoch genügend Enzyme vorhanden sind, um die Nahrung zunächst einmal ordentlich aufzuspalten, dann entsteht dadurch ein gesundes Mikroklima im Darm, das den schädlichen Keimen den Nährboden entzieht und perfekte Ausgangsbedingungen für die Ansiedlung nützlicher Darmbakterien schafft. — Erst dann, wenn dieses Fundament gelegt wurde, können Probiotika ihren vollen Nutzen entfalten!
Video-Interview zum Thema „Probiotika vs. Verdauungsenzyme?” (mit deutschen Untertiteln)
Mitschrift (deutsche Übersetzung)
SUPPLEMENTA: Hallo Michael! Ich freue mich, dass Du heute bei uns bist. Danke für Deinen Besuch. Könntest Du für uns bitte eine Sache erklären, die wir immer wieder gefragt werden: Was ist der Unterschied zwischen Probiotika und Enzymen? Wirkt beides ähnlich? Oder gibt es einen großen Unterschied?
MURRAY: Allerdings, da gibt es einen großen Unterschied. Ich denke, Enzyme sind wichtiger [als Probiotika]. In den USA — und ich vermute, dass dies in Europa ganz ähnlich ist — werden Probiotika 50 mal häufiger verkauft als Verdauungsenzyme. Eigentlich sollte es meiner Meinung nach jedoch genau umgekehrt sein.
Wir wissen nämlich Folgendes: Wenn Menschen einen Mangel an Verdauungsenzymen haben, dann führt dies zu Veränderungen in der Darmflora, dem Mikrobiom. Wenn wir dann Verdauungsenzyme von außen zuführen, erreichen wir damit automatisch auch, dass sich das Mikrobiom von alleine regeneriert.
Nun zu den Probiotika … Der große Unterschied zwischen Probiotika (also lebendigen Organismen) und Verdauungsenzymen ist, dass Probiotika nicht an der primären Aufspaltung der Nahrung mitwirken. Meiner Meinung nach werden Probiotika häufig falsch eingesetzt, weil völlig überschätzt wird, was sie tatsächlich leisten können, wenn man sich bestimmte Störungen der Darmfunktion genauer ansieht (Gasentwicklung, Blähungen, unverdaute Nahrungsreste, Reizdarm, etc.)
In den meisten Fällen ist der eigentliche Grund dieser Beschwerden, dass die Nahrung nur unzureichend in ihre Bestandteile zerlegt wird. Wirft man nun einen Organismus dort hinein, der diesen unverdauten Darminhalt gar nicht aufspalten kann dann wird man dadurch nicht so viel erreichen wie durch die Zufuhr eines Enzyms, also durch ein leichtgewichtiges, biologisch aktives Molekül, welches die Nahrung so zerlegt, dass wir ihre Bestandteile besser verdauen und nutzen können, anstatt schädliche Arten von Bakterien und Hefepilze damit zu füttern.
Deshalb bin ich der Ansicht, dass Enzyme wirklich das primäre Mittel der Wahl sind, nicht nur um unsere Verdauungsleistung zu verbessern, sondern auch um das Mikrobiom zu unterstützen.
Hier ein Beispiel: In einigen Studien wurde der Einfluss von Verdauungsenzymen auf das Mikrobiom von Tieren untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Enzyme einen beachtlichen Einfluss auf die Darmflora der Tiere hatten, wobei sich das Mikrobiom in gesunder Weise veränderte, u.a. durch eine Zunahme von Laktobazillen und Bifido-Bakterien. Also: Es wurden hier keine probiotischen Kulturen verabreicht! — Aber wenn man Verdauungsenzyme einnimmt / zuführt, dann entstehen allein aufgrund der verbesserten Aufspaltung der Nahrung förderliche Rahmenbedingungen für das Wachstum und die Gesundheit von nützlichen Darmbakterien!
SUPPLEMENTA: Das sind erfreuliche Nachrichten. Du würdest also wie folgt vorgehen: zuerst eine Nahrungsergänzung mit Verdauungsenzymen einsetzen, danach abwarten, wie sich die Darmgesundheit entwickelt, und, falls dann immer noch eine Störung vorliegt, erst im letzten Schritt Probiotika zuführen, anstatt in der umgekehrten Reihenfolge vorzugehen. Dein Ansatz besteht also darin, Nahrungsmittel besser zu verwerten und damit bessere Bedingungen für nützliche Darmbakterien zu schaffen?
MURRAY: Ja. Wir müssen uns den Einsatz von Probiotika in etwa so vorstellen, als ob wir einen neuen Rasen aussähen. In den meisten Fällen werden wir dabei Probleme mit Unkräutern haben. Stell Dir nun also vor, man würde die Unkräuter ersetzen/austauschen, indem man sie mit Hilfe von Verdauungsenzymen umwandelt (die sozusagen das Unkraut verdauen), um zu ermöglichen, dass gesunde Grashalme heranwachsen können.
SUPPLEMENTA: Sehr interessant. – Vielen Dank, Michael!
MURRAY: Es war mir ein Vergnügen.
(Dieses Interview wurde im Herbst 2019 in Frankfurt am Main aufgezeichnet.)
Das Interview wurde geführt von Sebastian Krück, der sich bei Supplementa insbesondere auf die Auswahl und den Einkauf neuer Enzym-Präparate spezialisiert hat und sich dem entsprechend gut mit sämtlichen Verdauungsproblememn auskennt, die auf einen Mangel an Verdauungsenzymen hindeuten könnten.